Weiter geht’s im zweiten Teil meiner Reihe zu John Mark Comers neuem Buch „Leben vom Meister Lernen“. Ich will hier die Chance nutzen, euch ein bisschen von meinem Weg mit Jüngerschaft zu erzählen. Keine Sorge, ich komme zur Frage in der Überschrift.

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe in der Gemeinde, in der ich als Sohn christlicher Eltern aufgewachsen bin, eigentlich nie etwas von Jüngerschaft gehört. Klar war mir bewusst, dass Jesus Jünger berufen hat: 12 davon nannte er Apostel, aber es gab ja noch die 70 und 120 und so. Und mir war auch klar, dass wir Jesus irgendwie auch so folgen sollten, wie die Jünger damals, nur, dass wir ihm nicht mehr ganz normal hinterherlaufen können.

Aber hätte ich mich je als Jünger von Jesus bezeichnet? Nie im Leben! Ich war Christ, weil ich an Christus glaubte. Und klar, als solcher wollte ich auch so leben, wie Jesus sich das vorgestellt hat, zumindest versuchen wollte ich das. Aber dass die Art und Weise, wie Jesus damals Zeit in ganz einfache Menschen investiert hat, mir heute auch noch etwas zu sagen hatte: Totale Fehlanzeige.

Und ich bin mir ziemlich sicher, dass das die Christen um mich herum, die schon ein bisschen länger Christen waren, auch nicht so begriffen hatten, denn sonst hätte ich ja zumindest ein paar Leute mitbekommen, die sich persönlich in andere Menschen investieren. Sie hätten das ja noch nicht mal Jüngerschaft nennen müssen, Mentoring wäre ja schon in die Richtung gegangen, aber davon hatte ich auch nichts gehört. Erst irgendwann im Theologiestudium las ich ein tolles Buch zum Thema Mentoring (so toll, dass ich das inzwischen vergriffene Buch vor ein paar Jahren wieder im Movement Verlag herausgebracht habe).

Mentoring: Jünger werden & Jünger machen

Paul D. Stanley & J. Robert Clinton

Das Buch ist für 14€ im Movementverlag erhältlich

Auch tote Mentoren sind Vorbilder

Ich war ganz begeistert von dem Gedanken, einen Mentor zu haben, nur um etwas später traurig zu realisieren, dass es gar nicht so einfach war, einen Mentor oder einen geistlichen Vater zu finden. Ich fand einfach keinen! Vielleicht lag es daran, dass die Generation über mir auch keine Mentoren hatte! Wie hätte sie lernen können, wie man ein guter Mentor wird? Und ja, das hing wohl irgendwie auch mit dem zweiten Weltkrieg zusammen, denn viele Männer kamen ziemlich gebrochen nach Hause (wenn sie überhaupt lebendig nach Hause kamen), hatten vielleicht sogar selbst ihren Vater durch den ersten Weltkrieg verloren.

Ich habe viel von toten Mentoren gelernt. Ja, meine Mentoren waren oft schon tot als ich sie traf. Ich traf sie zwischen zwei Buchdeckeln. Und dort habe ich Gott sei Dank viel von ihnen lernen können.

Manchmal fragen mich Menschen wie ich eigentlich als Sohn baptistischer Eltern, der in einer konservativen Baptistengemeinde groß geworden ist, auf einmal dazu komme, Workshops zum Thema Heilung, Befreiung von Dämonen oder Prophetie zu machen. Stimmt schon: In meiner Heimatgemeinde, in der ich groß geworden bin, war das nie ein Thema.

Aber irgendwie hat Gott mich damals gekriegt: Erst habe ich in einer Karfreitagspredigt eines Laienpredigers die Liebe von Jesus so tief erfahren, dass ich Rotz und Wasser geheult habe. Und anschließend hat es Gott auch geschafft, mich in den vollzeitlichen Dienst zu berufen. In meinem Praktikum vor dem Studium hatte ich viel Zeit, um in der Bibel zu lesen und da fiel mir auf, dass da immer wieder vom Heiligen Geist die Rede war, von dem ich keine Ahnung hatte. Also bin ich in eine christliche Buchhandlung gegangen (wenn’s noch eine in eurer Nähe gibt: Geht hin und kauft eure Bücher da und nicht im Amazonas) und habe mir einen Stapel Bücher zum Thema gekauft und sie alle gelesen.

Tote Mentoren eben.

Von solchen Vorbildern habe ich viel gelernt.

Und ja, ich habe in der Folge das große Vorrecht gehabt, eine ganze Reihe von Helden zu treffen. Menschen, die Bücher geschrieben haben.

Inspirierende Menschen, die Vorbilder für mich geworden sind.

Echte Legenden!

Geistliche Giganten!

Einer davon ist leider auch schon verstorben. Mentor oder gar Jüngermacher wurde keiner von ihnen, aber wenn ich eine konkrete Frage habe, schreibe ich eine Mail oder rufe sie an. Das ist zumindest nah dran an einem Mentor.

„…Weist die zurecht, die ein ungeordnetes Leben führen! Ermutigt die, denen es an Selbstvertrauen fehlt! Helft den Schwachen! Habt mit allen Geduld!“
(1.Thessalonicher 5,14. NGÜ)

Vor 20 Jahren traf ich zum Beispiel Neil Cole in den USA auf einer Konferenz, machte ein Interview mit ihm (kostenloser Geheimtipp von mir: Wer coole Leute kennenlernen will, der frage sie, ob er sie interviewen kann – vielleicht ja sogar für jesusbewegung.net?) und lud ihn ein halbes Jahr später ein, nach Deutschland zu kommen, um bei einer Konferenz zu sprechen, die ich organisierte. Dabei übersetzte ich ihn und das veränderte mein Leben.

Vor ein paar Wochen habe ich ihn bei einem Training in Frankfurt erneut übersetzt. Flashback incoming! War schon krass. Ich bin Gott super dankbar für Personen wie Neil, Curtis, Floyd, Ying: Vorbilder und Lehrer. Von anderen Lehrern habe ich auch viel gelernt, auch wenn ich sie nie live getroffen habe. Aber es waren eher Lehrer, keine Jüngermacher, die ermutigen, helfen oder auch mal in den Hintern treten (vgl. 1.Thess 5,14).

John Mark Comer ist auch so jemand: Das Ende der Rastlosigkeit hat mich stark geprägt. Leben vom Meister lernen finde ich deswegen so cool, weil es ein Thema ist, das mich auch nach über 20 Jahren packt und das so etwas wie mein Lebensthema geworden ist.

Mich bewegt immer noch die Frage, was wir tun können oder was passieren muss, dass wir wieder eine solche Jesusbewegung in Deutschland sehen, in der Menschen so begeistert von Jesus sind, dass sie „All in“ gehen und Jesus von ganzem Herzen folgen und die dann anderen Leuten helfen, auch so Jesus zu folgen.

Jüngerschaft eben.

Aber warum gibt es nun so wenig Jüngermacher?

Nach dieser Einführung komme ich zu der Frage in der Überschrift: Warum gibt es so wenig Jüngermacher?

John Mark Comer stellt die Frage zwar nicht genau so, aber er gibt dennoch eine Antwort darauf. Es liegt am Evangelium, das wir meist vermitteln: Einer seiner Seminarprofessoren nannte es das „Evangelium nach Johannes 3,16“. Mit diesen Sätzen lässt es sich zusammenfassen:

Du bist ein Sünder, der in die Hölle kommt.
Gott liebt dich.
Jesus ist am Kreuz für deine Sünden gestorben.
Wenn du an ihn glaubst kannst du in den Himmel kommen, wenn du stirbst. (Seite 36)

Kommt euch sicher bekannt vor. Was danach kommt, ist einfach herrlich. Er schreibt zunächst, dass es überhaupt nicht nach der Nachricht klingt, die Jesus gepredigt hat. Das Problem ist aber nach Comer nicht, dass die einzelnen Aussagen unwahr sind. Denn das sind sie nicht. Natürlich sind diese Sätze wahr.

„Das Problem ist nicht, dass es unwahr ist, sondern dass ihm ganze Teile der Wahrheit fehlen, die wirklich sehr wichtig sind.“ (übersetzt aus dem englischen Original, da hier die deutsche Übersetzung nicht so genau das trifft, was er sagt.)

Herrlich! Ich liebe es!
Die meisten Christen würden die Sätze unterschreiben, und da wir vermutlich alle (Gen Z vielleicht mal ausgeschlossen) schon mal erlebt haben, wie irgendjemand „das Evangelium“ kurz und knapp anhand bestimmter Wege erklärt hat („Die Brücke“ oder „Die vier geistlichen Gesetze“ kennen vermutlich viele), gehen wir davon aus, dass das das Evangelium ist.

Übrigens: An vier dieser Tools habe ich mir vor Jahren mal abgearbeitet, vielleicht möchte sie ja jemand lesen – Links unten.

Glaube das und du gehört dazu

Hier liegt nach Comer ein, wenn nicht ‚der‘ Grund, warum das Thema Jüngerschaft so stiefmütterlich behandelt wird: Dieses Evangelium fordert letztlich nur, dass wir das glauben. Kurz gesagt: Glaube das und du gehörst dazu und kommst in den Himmel, wenn du stirbst.

Gar nichts von Nachfolge, von Jüngerschaft.

Und das hat Auswirkungen! Ich habe zwar in meiner Kindheit nie von Jüngerschaft oder gar von einem „Jüngermacher“ gehört, aber „Evangelisten“ – die gab es landauf landab. Menschen, die anderen – meist in Vorträgen – dieses Evangelium erklären, damit sie gerettet werden können. Billy Graham ist sicher der bekannteste Evangelist weltweit, Reinhard Bonnke der bekannteste deutsche Evangelist. Beide sind schon gestorben, aber auch heute kenne ich noch eine Reihe solcher Leute, denen es ein großes Anliegen ist, Menschen dieses Evangelium zu erzählen. Nicht alle sprechen auf großen Bühnen, aber sie suchen das Gespräch mit Menschen, um ihnen „dieses Evangelium“ zu erklären, damit sie sich bekehren können.

Das Problem, das ich darin sehe: Sie sind dabei kurzsichtig!

Sie meinen sicher nur das Beste, aber sie sehen ihren Auftrag dann als erfüllt an, wenn jemand „Ja“ gesagt hat und z.B. ein Übergabegebet gesprochen hat. Dann drücken sie ihnen vielleicht noch ein Traktat in die Hand und empfehlen ihnen, sich einer Gemeinde anzuschließen. Und dann sind sie weg – und die Menschen sind allein allein.

Am Ende besteht die reale Gefahr, dass sie geistliche Säuglinge einfach sich selbst überlassen. Die Chance, dass diese Neubekehrten im Anschluss Christen treffen, die ihnen in der Jüngerschaft ein paar Schritte voraus sind und ihnen weiterhelfen, ist verschwindend gering. Frag mal rum, ob von den ganzen Bekehrten, die durch irgendwelche evangelistischen Einsätze „erreicht“ wurden, irgendjemand in einer Gemeinde ankam.

Wenn wir begreifen, dass Jesus weit mehr wollte, als das wir ein paar Glaubenssätze „glauben“, dass er Menschen in die Nachfolge rief und dass es dafür meist Leute braucht, die anderen zumindest einen Schritt voraus sind, um ihnen echte Nachfolge vorzuleben, dann wären wir schon einen gewaltigen Schritt weiter.

Bis zur nächsten Folge, happy following!

David Schäfer

…lebt mit seiner Familie in Hamburg-Bergedorf und liebt es, missionarisch gesinnte Christen und Gemeinden zu trainieren und zu coachen. David leitet den Movement Verlag und bringt als Verleger Bücher zum Thema Bewegungen heraus.

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