Ein Theologiestudium gab es zur Zeit der Bibel noch nicht. Die Ausbildung neuer Leiter fand im persönlichen Rahmen statt. Hilfreich kann dafür das Bild der geistlichen Elternschaft sein.

Als Jesus in die Öffentlichkeit tritt, lesen wir ganz am Anfang, dass er dies mit einer Botschaft tut: „Das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt diese gute Botschaft!“ (Mk 1,15 NGÜ). Unermüdlich ist er mit dieser Botschaft zu den Menschen unterwegs – und das nicht allein: „Kommt, folgt mir nach! Ich will euch zu Menschenfischern machen!“ (Mk 1,17 NGÜ), ruft er seinen angehenden Jüngern zu. Sie sollen in seiner Nähe sein, er würde aus ihnen etwas machen, das sie noch nicht sind: Menschenfischer, Jüngermacher.

Diese Absicht von Jesus – „Ich will euch zu Menschenfischern machen!“ – liefert die elementarste Begründung für jede Art von Verkündigung wie auch von Ausbildung und Training im christlichen Kontext. Sowohl Methode als auch Inhalt werden von Jesus gleich zu Beginn skizziert: eine enge Lebensgemeinschaft mit ihm in der Nachfolge und der Auftrag, selbst Menschen zu gewinnen. Beide sind zwei Seiten einer Medaille, nämlich der Jüngerschaft. Ein Jünger ist immer ein Lernender, ein Auszubildender und hat das Ziel, so zu werden wie der Meister (Lk 6,40) – und dazu gehört auch, wiederum andere auszubilden!

Zum Dienst befähigt

Ausbildung, Training und Befähigung von Einzelnen und Teams sind zutiefst im Neuen Testament verankert. Nicht nur Jesus prägt seine Jünger und bringt ihnen etwas bei, auch Paulus tut das. Und schließlich wurden insbesondere die neutestamentlichen Briefe mit dem Ziel verfasst, die Empfänger nicht nur zu belehren, sondern ihr Leben zu verändern und sie zum Dienst zu befähigen.

Als Jesus seine Jünger schließlich mit dem Auftrag zurücklässt, Menschen aller Nationen zu Jüngern zu machen, wissen sie, was er damit meint. Sie haben es bei ihm gesehen und selber schon Erfahrungen damit gesammelt. Die drei synoptischen Evangelien berichten davon: „Er rief die zwölf Jünger zu sich, sandte sie jeweils zu zweit aus (…) Da machten sich die Jünger auf den Weg und riefen die Menschen zur Umkehr auf“ (Mk 6,7. 12; vgl. Mt 10; Lk 9; Lk 10). Hier erreichen die Jünger in ihrem Lernprozess ein wichtiges Zwischenziel: Sie werden zu Menschenfischern.

Nachdem sie eine gewisse Zeit Jesus dabei begleitet und beobachtet haben, wie er auf die Menschen zuging, und sie auch selber gelegentlich aktiv waren, werden sie nun in Zweierteams losgeschickt. Eine Zeit zur Auswertung und Reflexion schließt sich an (Lk 9,10; 10,17ff). Ein hervorragendes Ausbildungskonzept!

Jesus als Lehrer

Einmal kehrt Jesus bei den beiden Schwestern Maria und Martha ein. Von Maria lesen wir, dass sie „sich auch zu den Füßen Jesu niedersetzte und seinem Wort zuhörte“ (Lk 10,39). Das deutet auf eine Lehrsituation hin, bei der die Schüler auf dem Boden sitzend die Ausführungen ihres Rabbis verfolgten.

Die Bemerkung von Paulus, dass er „zu den Füßen Gamaliels unterwiesen wurde nach der Strenge des väterlichen Gesetzes“ (Apg 22,3) bestätigt, dass es hier nicht um ein gemütliches Beisammensein im Wohnzimmer geht. Im Übrigen bricht Jesus hier ein Tabu, denn Frauen war es seinerzeit nicht erlaubt, zusammen mit Männern zu den Füßen eines Lehrers zu sitzen.

Hinzu kommt, dass diese Form der Lehre durchaus auch darauf zielte, dass das Gelernte weitergegeben wurde. Bei Jesus und seinen Jüngern sehen wir eine gewisse Bandbreite von Ausbildung und Training: Lehrvorträge und -gespräche, Beobachtung und praktische Umsetzung – und das Ganze im Kontext einer persönlichen Beziehung zum Meister und untereinander in der Gruppe, Monat für Monat, 24/7…

Wie könnte das wohl heute aussehen?

Paulus – immer im Team!

Auf seinen Missionsreisen war Paulus freiwillig nie allein, sondern hatte immer mindestens einen Mitarbeiter bei sich: anfangs Barnabas auf der ersten Reise, dann Silas und später Timotheus und Lukas auf der zweiten Reise. Viele andere kamen dazu. Damit folgt er dem Vorbild und der Praxis von Jesus und seinen Jüngern.

Wir können davon ausgehen, dass dieses apostolische Team in unterschiedlicher Zusammensetzung immer auch eine Lern- und Trainingsgemeinschaft war. Jedoch nicht zum Selbstzweck oder um sich selbst zu erbauen, sondern um die Botschaft von Jesus zu verkündigen und Menschen zu seinen Jüngern zu machen.

Apostolische Teams in unterschiedlicher Zusammensetzung waren immer auch eine Lern- und Trainingsgemeinschaft.

 

Gemeinsame Erfahrungen der Führung durch den Heiligen Geist, Widerstände, Angriffe sowie erfolgreiche Gemeindegründungen schweißten sie zusammen. Der Bericht über die zweite und dritte Missionsreise von Paulus und seinem Team vermittelt uns den Hintergrund für die Ausbildung seines wohl engsten Mitarbeiters Timotheus, die er später so zusammenfasst: „Was du von mir in Gegenwart vieler Zeugen gehört hast …“ (2.Tim 2,2).

Timotheus war offenbar Teil einer Lerngemeinschaft, und doch beschreibt der Apostel die Beziehung zu ihm als etwas Besonderes. Wiederholt nennt er ihn sein „Kind im Glauben“ (1Tim 1,2. 18; 2Tim 1,2; 2,1), was darauf hinweist, dass dieser junge Mann unmittelbar durch Paulus zum Glauben an Jesus kam. Das gilt zwar auch für seinen Mitarbeiter Titus (Tit 1,4), doch seine väterliche Beziehung zu Timotheus ist einzigartig.

Von Paulus hat er nicht nur Worte und die Lehre gehört und gelernt (2.Tim 1,13), sondern noch viel mehr: „Du aber hast dich an meiner Lehre, meiner Lebensführung und meinem Lebensziel ausgerichtet. Du hast dich an das Vorbild meines Glaubens, meiner Geduld und meiner Liebe gehalten. Du kennst meine Standhaftigkeit in allen Verfolgungen und Leiden; du hast es in Antiochia, Ikonion und Lystra miterlebt“ (2Tim 3,10-11 GN).

Wenn das keine gründliche Ausbildung war! Geistliche Erkenntnisse, Strategien und Methoden stehen bei Timotheus’ Ausbildung offenbar weniger im Fokus als vielmehr Charakter, geistliches Leben und eine entsprechende Lebenshaltung und das alles im Kontext einer engen, persönlichen Beziehung.

Paulus – immer im Team!

Mehr als zwei Jahre wirken Paulus und seine Mitarbeiter in Ephesus und es etabliert sich offenbar ein regelrechtes Trainingszentrum, ein apostolischer Hub. Paulus „sprach von nun an täglich im Lehrsaal des Tyrannus. Das tat er zwei Jahre lang, sodass im Laufe der Zeit die gesamte Bevölkerung der Provinz Asia – Juden wie Nichtjuden – die Botschaft des Herrn hörte“ (Apg 19,8-10 NEÜ).

Wie kann es geschehen, dass durch die Tätigkeit eines einzelnen Apostels eine ganze Provinz mit bedeutenden Städten und Zehntausenden Einwohnern „das Wort des Herrn hört“? Es sind wohl Männer und Frauen wie Epaphras (der die Gemeinde ein Kolossä gründete, Kol 1,7), die Paulus in Ephesus genauso ausbildet wie Timotheus (2.Tim 2,2) und die das Gelernte auf dieselbe Weise weitergeben. Vielleicht werden sie aus Ephesus in die Umgegend gesandt oder sind vorübergehend in der Provinzhauptstadt, als sie Paulus begegnen und als Jünger Jesu mit einem neuen Auftrag in ihre Heimat zurückkehren.

Der Gemeinde in Thessalonich schreibt Paulus etwas Interessantes über sein Selbstverständnis – und auch Timotheus wird es erlebt haben: „Wir sind behutsam mit euch umgegangen wie eine Mutter, die liebevoll für ihre Kleinen sorgt. (…) Ihr wisst ja, dass wir uns um jeden Einzelnen von euch gekümmert haben wie ein Vater um seine Kinder“ (1.Thess 2,7. 11). Geistliche Elternschaft, ein Vater oder eine Mutter in Christus zu sein – das ist der Rahmen, in dem Paulus seinen Dienst versteht, sowohl im Blick auf Gemeindegründung wie auch auf seine Mitarbeiter im apostolischen Team.

Elternschaft und Ausbildung

In dem Buch „The Disciple: On Becoming Truly Human“ (übersetzt etwa: Der Jünger: Wie man wirklich Mensch wird) von Lucy Peppiatt fand ich einige wertvolle Gedanken dazu. Die Autorin weist darauf hin, dass das Konzept von Elternschaft und Familie zutiefst in der Bibel verankert ist: Gott ist unser Vater, wir alle sind Geschwister. Paulus (s.o.), Petrus (1.Pet 2,2) und Johannes (1.Joh 12-14) stellen diesen Gedanken in den Kontext von geistlichem Wachstum und Zurüstung.

Peppiatt schreibt: „Aus einem Modell für gute Elternschaft habe ich einige Punkte entnommen und auf die geistliche Aufgabe übertragen, Menschen zu Jüngern zu machen, die wiederum andere zu Jüngern machen und neue Gemeinschaften oder Gemeinden gründen werden.“ Sie nennt einige dieser Punkte, die ich im Folgenden in Auszügen wiedergebe:

  1. Gute Eltern bereiten ihre Kinder darauf vor, das Haus zu verlassen. Gemeinden, die einen starken Schwerpunkt auf Jüngerschaft und Mission legen, werden in Menschen investieren, um sie auszusenden. Die Mentalität des Sammelns und Bewahrens, die in vielen Gemeinden vorherrscht, kann ungesund werden und Menschen einschränken, wenn sie bereit sind für Abenteuer, Unabhängigkeit und neue Aufgaben, und kann sie daran hindern, „erwachsen zu werden“.
  1. Gute Eltern stellen sich auf die verschiedenen Phasen des Heranwachsens eines Kindes ein. Ganz ähnlich sollten sich Gemeinden auf solche Phasen einstellen können und darauf achten, wann Menschen für die nächste Phase bereit sind. Wir müssen sie mit fester Nahrung versorgen und sie dazu befähigen, Leiter und Lehrer für andere zu werden.
    Wenn wir das nicht tun, werden wir in Gemeinden gelangweilte und frustrierte Leute vorfinden und sie schließlich verlieren. Meine Erfahrung in der Arbeit mit jungen Menschen ist, dass sie viel früher zur Leitung bereit sind, als wir denken.

Es ist nicht die Aufgabe des Leiters, das Leben anderer Menschen zu kontrollieren, sondern sie dazu zu befähigen, ihr eigenes Leben zu führen und ihrerseits andere zu fördern.

 

  1. Gute Eltern finden ein Gleichgewicht zwischen Kontrolle und Freiheit. Sie bereiten Kinder darauf vor, Verantwortung zu übernehmen, selbst gute Entscheidungen zu treffen und gesunde Beziehungen einzugehen. Jesus hat nie Menschen kontrolliert und warnt uns eindringlich davor, andere zu beherrschen und zu manipulieren.
    Peppiatt zitiert den Missiologen Roland Allen: „Es ist für uns heute nicht leicht, dem Heiligen Geist zu vertrauen. Es fällt uns leichter, an sein Wirken in uns und durch uns zu glauben, als an sein Wirken in und durch unsere Bekehrten: Wir bringen es nicht über uns, ihm unsere Bekehrten anzuvertrauen.“ Es ist nicht die Aufgabe des Leiters, das Leben anderer Menschen zu kontrollieren, sondern sie dazu zu befähigen, ihr eigenes Leben zu führen und ihrerseits andere zu fördern.
  2. Gute Eltern geben Kindern die Freiheit zu scheitern. Wenn wir scheitern, betrachten wir das oft als katastrophales Ereignis – statt daraus zu lernen, uns aufzuraffen und weiterzumachen. Nur wenn wir die Freiheit erleben, scheitern zu dürfen, können wir wirklich lernen und ins Erwachsenenalter hineinwachsen.
    In manchen Gemeinden wird großer Wert auf die „Autorität“ der Leiter gelegt. Leiter betrachten es als ihre Aufgabe, andere zu korrigieren und zu disziplinieren, vor allem, wenn sie versagen oder etwas misslingt. Von der Gemeinde wird erwartet, dass sie sich den Entscheidungen des Leiters oder der Gemeindeleitung unterordnet.
    Die Vorstellung, dass es Menschen gibt, die ein gottgegebenes Recht haben, in einer Gemeinde Autorität über andere auszuüben, kommt in der Lehre Jesu über Leiterschaft jedoch gar nicht vor. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Diejenigen, die führen, sind diejenigen, die dienen.

Diejenigen, die führen, sind diejenigen die dienen.

 

  1. Gute Eltern erfreuen sich daran, wie verschieden ihre Kinder sind. Im Gemeindeleben ist es wichtig, uns selbst und andere von der Vorstellung der Gleichförmigkeit zu befreien und die Vielfalt zu fördern. Es ist ein Schlüsselprinzip in der Jüngerschaft, dass wir eine große Vielfalt in der Art und Weise fördern sollten, wie das neue Leben in Jesus im praktischen Leben verschiedener, individueller Menschen um uns herum ausgelebt wird.
    Die Gemeinde sollte ein Ort sein, an dem diese Vielfalt in Einheit gefeiert und nicht eingeschränkt wird. Denn der Heilige Geist schafft Einheit und Vielfalt. Wir sind miteinander vereint, aber wir sind nicht vereinheitlicht.
  2. Gute Eltern vermitteln Werte, indem sie davon reden und sie vorleben. Wir können niemanden, schon gar nicht unsere Kinder, dazu zwingen, unsere Werte zu akzeptieren. Wenn es uns jedoch gelingt, Werte zu vermitteln, indem wir sie mit Integrität vorleben, dann werden wir auch in Zukunft als Ratgeber und Freunde willkommen sein.

Wir brauchen mehr apostolische Teams, die Gott zusammenführt und in unsere Gesellschaft hinein sendet, um die Botschaft von Jesus und dem Reich Gottes bekannt zu machen und Menschen zu seinen Jüngern zu machen!

 

Jeder Christ ist beteiligt

Diese Grundsätze spiegeln sich deutlich bei Jesus und seinen Jünger und genauso bei Paulus und seinen Mitarbeitern wider. Wenn wir die Gemeinde als geistliche Familie sehen, wird klar, dass es sowohl geistliches Wachstum (das letztlich Gott allein schenkt!) als auch Ausbildung, Zurüstung und Training im Reich Gottes bzw. der Gemeinde gibt – und hier sind alle gefragt.

Peppiatt drückt es so aus: „Andere auszubilden und zu trainieren, ist eine Praxis, an der alle Christen in irgendeiner Form beteiligt sein sollten. Es gibt gute Bücher und Kurse, die uns auf diesem Weg helfen, aber in Wirklichkeit ist es am effektivsten, wenn wir miteinander leben und unser Leben, unser Zuhause und unsere Beziehungen füreinander öffnen.“ 

Damit stellen sich viele Fragen sowohl an heutige geistliche oder theologische Ausbildungskonzepte mit einer eher akademischen Ausrichtung als auch an die lokalen Gemeinden. Wir brauchen mehr apostolische Teams, die Gott zusammenführt und in unsere Gesellschaft hinein sendet, um die Botschaft von Jesus und dem Reich Gottes bekannt zu machen und Menschen zu seinen Jüngern zu machen!

Wolfgang Klöckner

…lebt und arbeitet seit vielen Jahren mit seiner Frau Ute im Allgäu, wo sie die Gründung und den Aufbau einiger Gemeinden gestartet und unterstützt haben. Sie begleiten und fördern verschiedene missionarische Projekte in der Region. Wolfgang engagiert sich darüber hinaus im Vorstand der Deutschen Inlandmission (DIM).

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