Auszug aus: Von Jesus reden von Carl Medearis

Jesus hat seine Verkündigung immer an die Situation und die Person angepasst. Im Tempel war er verärgert, doch die Ehebrecherin behandelte er mit viel Gnade. Mit seinen Jüngern hatte er nicht immer so viel Geduld. Mit Petrus ging er strenger um als mit Andreas. Regelrecht garstig war er zu den Pharisäern. Er verlangte keine Gegenleistung von den geheilten Aussätzigen, Blinden oder Bettlern. Er befreite dämonisch Besessene ohne Zögern, aber kritisierte seine Jünger, wenn sie keinen oder nur kleinen Glauben zeigten.

Wie Jesus die gute Nachricht, dass das Reich Gottes nahe herbeigekommen ist, weitergab, sah in fast jeder Situation anders aus. Nehmen wir einmal an, dass er dabei immer richtig lag. Gab es Momente, in denen die Zuhörer seine Botschaft nicht hören konnten? Sehr oft sogar. Die Jünger verwechselten seine Botschaft oft mit ihrer eigenen politischen Erwartung. Sie glaubten, dass Jesus das sichtbare Königreich Israels wiederherstellen würde. Die Pharisäer, Sadduzäer und die Anhänger von Herodes hörten in der Botschaft Jesu einen Angriff auf ihre Machtstellung. Die römischen Machthaber meinten, Jesus beabsichtige, das römische Reich zu Fall zu bringen.

Diejenigen, die wirklich Ohren hatten, um Jesus zu hören, waren die vom Schmerz geplagten, die Gebrochenen und die Verzweifelten. Die Jünger, die religiösen Führer und die politischen Oberhäupter hatten etwas gemeinsam: Ihre Unfähigkeit, die Botschaft vom Himmelreich so zu hören, wie Jesus sie verkündigte. Sie alle hörten nur Macht. Entweder, dass Jesus ihnen Macht geben würde oder, dass Jesus ihnen Macht wegnehmen würde. Er sprach über einen ganz neuen Weg, aber sie konnten diesen nicht verstehen, ihre Ohren waren dafür zu sehr mit den Wegen der Welt verstopft.

„Diejenigen, die wirklich Ohren hatten, um Jesus zu hören, waren die vom Schmerz geplagten, die Gebrochenen und die Verzweifelten.“

Und am Ende starb Jesus wegen dieser Botschaft. Manche verstanden wirklich, was er sagte, und realisierten, dass seine Botschaft tatsächlich eine Gefahr für ihre Lebensweise war. Und daher kreuzigten sie ihn. Sowohl die jüdische Elite als auch das römische Reich spielten dabei eine Rolle.

War diese Botschaft, die gute Nachricht, nun gut oder nicht? Erinnern wir uns daran, dass die Menschen Jesus die meiste Zeit liebten. Mehrfach versuchten sie, ihn zum König zu machen und das sogar mit Gewalt. Vier- bis fünftausend waren oft da wenn er predigte. Faszinierend, wenn man bedenkt, dass es zu der Zeit weder Werbung, noch Fernsehen oder Radio gab, die seinen nächsten Auftritt hätten ankündigen können. Niemand wusste, wo er in Kürze sprechen würde, es sei denn sie folgten ihm schon oder waren in unmittelbarer Nähe.

Aber wer sollte auch so einen Mann nicht mögen? Er heilte die Kranken, trieb Dämonen von Besessenen aus, speiste die Hungrigen und Armen, liebte die Sünder, ehrte Kinder und Frauen und ging mit dem Establishment hart ins Gericht. Lukas berichtet in der Apostelgeschichte, dass Jesus umherzog und Gutes tat (Apg 10,38). Menschen neigen dazu, so eine Person zu mögen.

Erinnern wir uns an den Auftrag von Jesus:

“Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt mit dem Auftrag, den Armen gute Botschaft zu bringen, den Gefangenen zu verkünden, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen werden, den Unterdrückten die Freiheit zu bringen, und ein Jahr der Gnade des Herrn auszurufen.” (Lk. 4,18-19 NGÜ)

Ich finde es überaus interessant, dass Jesus den letzten Teil der zitierten Stelle aus Jesaja 61 auslässt. In der originalen Stelle setzt Jesaja fort mit: „…und den Tag der Rache für unsern Gott“ (Jes. 61,2 ELB). Warum hat Jesus diesen Teil weggelassen?

Ich glaube, weil es (zumindest zu der Zeit) nicht mit dem guten Teil seiner guten Nachricht, die er verkündigen wollte, zusammenpasste. Für jene, die verzweifelt waren (und sind), war Jesus immer gute Nachricht. Er war derjenige, der sie befreite, sie rettete. Was aber das religiöse und politische Establishment betraf, war er eine permanente Bedrohung.

Fazit: Unsere Verkündigung des Evangeliums sollte die meiste Zeit als gute Nachricht wahrgenommen werden. Tut sie das nicht, dann sollten wir sicherstellen, dass wir sie korrekt weitergeben und alles in unserer Macht Stehende tun, um Verständigungsprobleme aus dem Weg zu räumen, damit andere die Botschaft hören können.

Nachdem Jakobus von Paulus und Barnabas die schockierenden Nachrichten vernommen hatte, dass Heiden sich zu Gott wandten und den Heiligen Geist empfingen, verkündigte er auf dem ersten großen Treffen der Gemeindeleiter, dass sie es „den Nichtjuden, die zu Gott umkehren, nicht unnötig schwer machen“ sollten (Apg. 15,19 NGÜ). Lassen wir es nicht zu, dass unsere Unzulänglichkeiten das Verstehen und Empfangen der wunderbaren Botschaft von Jesus und seinem Reich erschweren.

Anstatt in der Mannschaft der Christen zu spielen – wie wäre es, wenn dein Reden von Jesus dich in die Lasterhöhlen führen würde? Ich meine die Plätze, wo die Sünder sich aufhalten. Zu den Ausgestoßenen, Muslimen, Homosexuellen, Liberalen? (Oder zu den Konservativen, wenn du zu den Liberalen gehörst.) Zu den Schwarzen, wenn du weiß bist oder … ich denke, du hast verstanden.

Wir schmunzeln, wenn wir darüber nachdenken, dass Jesus als Freund der Sünder und Weintrinker „angeklagt“ wurde. Es scheint aber wahr zu sein, denn es gefiel ihm, mit Sündern Wein zu trinken. Ist das das Bild, das du von Jesus hast? Jesus als Partygänger?

„Es gefiel Jesus, mit Sündern Wein zu trinken.“

Stell dir diese Szene vor – wir finden sie in Lukas 7. Jesus hatte die Einladung eines Pharisäers angenommen. Das allein ist schon überraschend und zeigt, dass Jesus wirklich überall hinging. Jesus saß nun gemütlich am Tisch, das Essen stand kurz bevor. Ganz sicher waren auch andere Gäste da außer Jesus und dem Pharisäer.

Als plötzlich eine Frau der Nacht eintritt, geht ein Raunen durch den Raum. Der Pharisäer ist sich sicher, dass Jesus weiß, wer diese Frau ist und erwartet, dass er sie zurechtweist und fortschickt. Aber stattdessen erlaubt er ihr das Undenkbare: Ihre Tränen fallen auf seine Füße, sie trocknet sie mit ihren Haaren, küsst sie und salbt sie mit Salböl aus ihrem Alabastergefäß.

Wow, eine ziemlich sinnliche Angelegenheit, nicht wahr? Man muss sich das einmal vorstellen. Woher kannte sie Jesus überhaupt? Sie hatte ihn offensichtlich schon vorher gesehen, vielleicht als er jemanden geheilt oder Dämonen ausgetrieben hatte. Irgendwie wusste sie, dass sie ihn braucht. Wusste, dass sie seiner nicht würdig war. Ihre Tat drückte echte Demut aus, Zerbrochenheit. Während sie seine Füße wusch, bat sie um Heilung und Vergebung. Ihn, der ihr genau das geben konnte.

Aber stellen wir uns das mal aus Sicht von Jesus vor. Oder versetzen wir uns in seine Lage. Nehmen wir an, du bist als Pastor oder Jugendleiter zu Gast im Haus eines wohlhabenden christlichen Leiters, der zufälligerweise auch einer deiner größten Unterstützer ist. Und eine stadtbekannte Prostituierte betritt den Raum und geht auf dich zu. Was würdest du tun? Würdest du versuchen, sie peinlich berührt zu ignorieren? Würdest du den anderen Gästen schnell klar machen, dass du sie nicht kennst? Dass du keine Ahnung hast, warum sie das Ganze tut? Würdest du sie wegschieben, aufstehen und gehen? Würdest du rot anlaufen?

Weil Jesus in seinem Herzen und seinem Tun rein war, konnte er ihr Opfer einfach annehmen. Jesus ging sogar weiter, vergab der Frau ihre Sünden und lobte ihren vorbildlichen Glauben – vor den Augen des schockierten Pharisäers.

Wenn ich Vorträge halte, verwende ich häufig ein ähnliches Szenario. Stell dir vor, ich stehe bei einem Freund, der Jesus nicht kennt und das auch weiß. Vielleicht ist er ein ziemlich rauer Kerl und sieht sich selbst als einer, der „draußen“ ist. (Es überrascht mich immer wieder, wie häufig Menschen sich selbst als Außenstehende sehen.)

Dann sage ich zu ihm: Stell dir mal vor, dass Jesus jetzt auf die Erde runterkommt und sich als Mensch zwischen uns stellt. Wen würde er bevorzugen? Mit wem würde er am liebsten abhängen? Zusammen essen gehen? Die Leute sagen immer„Mit dir“. Sie denken, dass Jesus mit mir abhängen würde, weil ich ja zu seinen Jungs gehöre.

Dann mache ich immer ein lautes „Biep“-Geräusch und bewege meine Hand nach unten, als ob ich auf den „falsche Antwort“-Buzzer hauen würde. Natürlich ist die Antwort genau umgekehrt. Ich erkläre den Leuten dann, dass Jesus immer die Sünder den religiösen Typen vorzog. Auch wenn ich mich selbst nicht als „religiösen Typen“ bezeichnen würde, würde ich mir bestimmt von Jesus Kritik anhören lassen müssen. Vielleicht bin ich ja der Pharisäer.
Oder der Heuchler, der nicht immer tut, was er anderen predigt.

„Sie hatten ihre gute Theologie, kannten ihre Bücher auswendig und handelten korrekt. Sie haben nur ein kleines Detail übersehen: Jesus!“

Aber der Außenstehende wäre immer auf der Seite von Jesus, vorausgesetzt, er kennt seine eigene Not. Jesus liebte die Demut derer, die wussten, dass sie Hilfe dringend nötig hatten. Das war ja der springende Punkt bei den religiösen Leitern. Sie dachten, sie hätten das alles gut im Griff. Sie hatten gute Theologie, hatten ihre Bücher auswendig gelernt und handelten korrekt. Sie waren die damalige konservative, religiöse Rechte. Sie hielten das Gesetz, sie waren die Guten, die Religionspolizei.

Sie übersahen nur dieses kleine Detail namens Jesus, mehr nicht.

Wenn Jesus heute durch unsere Straßen laufen würde, wo würde man ihn antreffen? In unseren Kirchengemeinden oder in einer Bar? Heißt das, dass wir nicht in Gemeinden, sondern eher in Bars gehen sollten? Vielleicht.

Es kann aber auch einfach bedeuten, dass wir uns im Klaren darüber sein sollten, wozu wir normalerweise tendieren. Wir neigen dazu, uns mit den Freunden aus der Mannschaft der Christen zu treffen. Das ist einfach. Wir schicken unsere Kinder auf christliche Schulen, spielen in einer christlichen Volleyballmannschaft und stellen Christen in unserer Firma ein. Am Sonntag gehen wir zur Kirche, am Mittwoch zur Bibelstunde und am Donnerstag zum Hauskreis. Da muss man sich nicht mit diesen lästigen, weintrinkenden Sündern abmühen.

Carl Medearis: Von Jesus reden

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus:

Carl Medearis, Von Jesus reden, Hamburg: Movement Verlag 2017, S.90-95.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung.
Das Buch ist für 12,00 € unter movement-verlag.de erhältlich.

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